Wie die Prußen/Pruzzen ihr Land verloren.

von Klaus-Peter Jurkat

Vor kurzem fand ich eine 1994 gezeichnete französische Landkarte, die Europa im Jahr 1000 zeigt. Dort ist bereits die Oder-Neiße-Grenze eingezeichnet, und Usedom und Stettin liegen im Königreich Polen. Die Prußen bewohnen das Gebiet nördlich des Königreichs Polen. Zum prußischen Gebiet gehört das Kulmer Land.
Ein Blick in den „Atlas zur Geschichte“, Gotha 1989, zeigt auf Seite 23 ebenfalls eine Karte von Europa vom Ende des 9. bis zum Beginn des 11. Jahrhunderts. Dort ist Polen als Fürstentum und seit 1025 als Königreich eingezeichnet. Usedom und Stet-tin liegen in Polen, die Westgrenze noch westlicher.
Das große Universal Lexikon führt aus: „Mit Herzog Mieszko I. (um 960-992) aus dem Hause der Piasten tritt Polen ins Licht der Geschichte. Mieszko kam durch sei-nen Expansionsdrang in Konflikt mit der Ostpolitik Ottos des Großen. Er musste die Oberhoheit Ottos anerkennen und sich 966 taufen lassen. 990 unterstellte er sein Land dem Stuhl Petri, um es dem deutschen Einfluss zu entziehen. Sein Sohn Bo-leslaw I. Chrobry (992-1025) bildete zum ersten Mal ein großpolnisches Reich und konnte seine Herrschaft über die Lausitz und zeitweise auch über Böhmen und Mäh-ren ausdehnen. Durch die Errichtung des Erzbistums Gnesen (1000) mit den Suffra-gandiözesen Kolberg, Breslau, und Krakau (später auch Posen) bekam die polnische Kirche einen eigenen Mittelpunkt , der das weitere Vordringen Magdeburgs nach Os-ten verhinderte und die Entwicklung der polnischen Eigenstaatlichkeit entscheidend förderte. Boleslaw konnte am Ende seines Lebens sogar die Königskrone erringen.
Otto I., der Große (936-973), schob im Zuge der deutschen Ostkolonisation im nördli-chen und mittleren Osten die Reichsgrenzen etwa an den Lauf von Oder- Bober- Qu-eis vor.“
Für eine deutsche Besiedlung der Gebiete fehlte es noch an Menschen. Das Ziel Ot-tos I. war vielmehr, die slawische Bevölkerung zu christianisieren und damit in den abendländischen Kulturbereich einzubeziehen. (Herzfeld).
Auf seinem zweiten Italienzug (961-965) erwarb Otto I. in Rom die Kaiserkrone (2.2.962). Sein dritter Italienzug (966-972) erbrachte die päpstliche Zustimmung zur Errichtung des Erzbistums Magdeburg als Missionszentrum des Slawenlandes (968 realisiert); Suffragane wurden die Mainzischen Bistümer Brandenburg und Havelberg sowie die neu errichteten Bistümer Merseburg, Meißen und Zeitz (Universal Lexikon).
Die deutsche Ostkolonisation war im Mittelalter die Expansion des deutschen Macht-bereiches, Kultureinflusses und Siedlungsraumes im Osten von der Saale/Elbe bis zur Weichsel und im Nordosten an die Küsten der Ostsee bis zum Finnischen Meer-busen (Lexikon der Weltgeschichte).
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts verstärkte die Kurie ihre Missionierungsversuche in Ostmitteleuropa. Sowohl der Gnesener Erzbischof als auch der Abt von Lekno, der 1215 in Rom zum Missionsbischof geweiht wurde, sollten das Christentum nach Preußen bringen, und im Jahre 1217 rief Papst Honorius III. zum Kreuzzug gegen die
Prußen auf. Aber alle diese Bemühungen blieben vergebens. Als schließlich ein wei-terer militärischer Versuch masowischer Fürsten misslang, die Region zu unterwer-fen, entschloss sich Konrad von Masowien 1226 , den Deutschen Orden zu Hilfe zu rufen. Dieser sollte den nördlichen Nachbarn nach westlich-christlichem Verständnis befrieden und christianisieren (Kossert).
In der oft genannten Goldbulle von Rimini, jener Urkunde Kaiser Friedrichs II., die 1226 den Orden autorisierte, seinen Eroberungskrieg zu beginnen, wird das zu er-obernde Land als Gebiet der Prußen (confinia Prutenorum) und als prußische Ge-gend (partes Pruscie) bezeichnet.
Die Teilnahme am Kreuzzug schien den sichersten Weg in die ewige Seligkeit zu versprechen. Der Lohn des Kreuzzugs war ein vollständiger Ablass. Die Vorausset-zung für den Ablass waren die Beichte der Sünden und die Reue sowie eine materi-elle oder immaterielle Leistung für die Kirche, hier also die Teilnahme am Kreuzzug.
Man kennt die Bitte des Herzogs Konrad von Masowien nur aus der oft genannten Urkunde Kaiser Friedrichs II. vom Jahre 1226 , der Goldbulle von Rimini. Es heißt in der Urkunde, Herzog Konrad von Masowien habe dem Deutschen Orden das Kulmer Land und ein benachbartes Gebiet angeboten, damit dieser es auf sich nehme, das Land Preußen anzugreifen und zu erobern. Der Deutsche Orden, so heißt es weiter, habe sich darauf nicht eingelassen, sondern zunächst den Kaiser gebeten, ihm diese Länder zu verleihen. Das tut der Kaiser nun, jedenfalls im Hinblick auf das zu er-obernde Preußen, nicht jedoch für das Kulmer Land, das er, da es dem Herzog von Masowien gehörte, auch schwerlich einem anderen verleihen konnte. Doch wieso konnte Friedrich II. dem Orden das zu erobernde Land der Preußen verleihen?
Die Urkunde gibt eine Begründung. Sie sagt, das Land gehöre zur „monarchia impe-rii“. Doch was heißt das? Das hat noch niemand überzeugend sagen können, und das dürfte daran liegen, dass es diejenigen, welche die Urkunde formulierten, gleich-falls nicht wussten, dass sie einen unklaren Sachverhalt undeutlich formulierten. An späterer Stelle wird in dem Privileg von 1226 gesagt, der Hochmeister solle in sei-nem Territorium alle Herrschaftsrechte haben wie irgendein Reichsfürst. Wurde damit Preußen zu einem Teil des Reichs und der Hochmeister zum Reichsfürsten ge-macht? Heute weiß man mit einiger Sicherheit, dass das nicht der Fall war. Die Stel-lung eines Reichsfürsten wird in der Urkunde nur im Sinne eines Vergleichs genannt Der Hochmeister wurde kein Reichsfürst und Preußen kein Teil des Reichs. Andern-falls hätte der brandenburgische Kurfürst Friedrich III. im Jahre 1701 schwerlich Kö-nig werden können. (Boockmann). Die Verfasser der Urkunde verstießen gegen den 2000 Jahre alten Rechtsgrundsatz „Nemo plus iuris transferre potest quam ipse ha-bet“. Niemand kann mehr Rechte übertragen als er selbst hat.
Drei Jahre nach Beginn des Krieges gegen die Prußen meldete sich der Papst zu Worte. Am 3. August 1234 nahm Gregor IX., jener Papst also, der des Kaisers ent-schiedenster Gegner war, das Land, das der Deutsche Orden erobern würde, in das Eigentum des heiligen Petrus und übertrug es dem Deutschen Orden mit der Bin-dung , dieses Land dürfe keiner anderen Herrschaft unterstellt werden, also auch nicht der des Kaisers. Wie passte das zur Urkunde Friedrichs II., zur Goldbulle von
Rimini? Wie vertrugen sich die „monarchia imperii“ und das nun festgestellte Eigen-tum des heiligen Petrus? (Boockmann). Wieder wurde gegen den uralten Rechts-grundsatz „Nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet“ verstoßen.
Seine Eroberungen hätte der Orden nur mit eigenen Kräften nicht machen können. Auch jetzt wurden die Kriege gegen die Prußen zu Kreuzzügen erklärt. Anders als vor einigen Jahren den polnischen Fürsten gelang es dem Orden aber, diese Kreuz-zugsprivilegien tatsächlich zu nutzen und fürstliche Kreuzfahrer aus dem Reich zu gewinnen. (Boockmann).
Bis 1283 gelangte das von den Prußen besiedelte Land vollständig in die Hand des Ordens. Seine Macht erreichte ihren Höhepunkt unter dem Hochmeister Winrich von Kniprode (1351-1382).
In der Schlacht von Tannenberg erlitt der Deutsche Orden am 15. Juli 1410 durch seinen äußeren Gegner, ein polnisch-litauisches Heer, eine vernichtende Niederlage. Trotzdem war der Erste Thorner Frieden von 1411 für den Orden noch relativ güns-tig. Bis auf kleinere Gebietsverluste und ein Strafgeld behielt der Orden sein Territo-rium.
Der Friede hielt nicht lange vor. Schon bald brach ein neuer Konflikt zwischen Polen-Litauen und dem Ordensstaat aus, in dessen Zentrum der Anspruch beider Seiten auf Sudauen stand und damit auch auf das spätere östliche Masuren. Nach erbitter-ten Kämpfen endete diese Auseinandersetzung am 27. September 1422 mit dem Frieden von Melnosee. Der Orden verzichtete auf die von ihm besetzten litauischen Gebiete und stimmte einer Teilung Sudauens zu. Die Grenzziehung wurde noch ein-mal 1435 im Frieden von Brest bestätigt . Die in den beiden Friedensschlüssen be-schriebenen Grenzverläufe zwischen Masuren und Polen-Litauen – die polnisch-ost-preußische Südgrenze – erfuhren ihre Bestätigung und behielten ihre Gültigkeit bis 1939 (Kossert).
Im Inneren des Ordensstaates war seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine starke Gegnerschaft des ethnisch überwiegend deutschen Landadels und der Städte herangewachsen. Der aktive Teil des Adels und der Städte schloss sich am 14. März 1440 im sogenannten „Preußischen Bund“ zusammen, der ein Sammelbecken oppo-nierender Elemente wurde.
Am 1. Dezember 1453 erfolgte der kaiserliche Rechtsspruch, durch den der Preußi-sche Bund verurteilt und für nichtig erklärt wurde.
1454 eskalierte der Konflikt, da 12 Abgeordnete des Preußischen Bundes König Ka-simir IV. von Polen (1447 – 1492) offiziell die oberherrlichen Rechte im Lande Preu-ßen anboten. Der König nahm das Angebot an. Er ließ sich in Anwesenheit des sich gerade in Krakau befindenden Erzbischofs von Gnesen durch die Bevollmächtigten des Preußischen Bundes den Eid der Treue und des Gehorsams leisten. Er nahm das Gebiet des Ordensstaates Preußen in seinen Besitz und teilte es in vier polni-sche Woiwodschaften auf: Thorn, Elbing, Danzig und Königsberg, die er an die vor-nehmsten Führer des Preußischen Bundes verlieh mit dem Recht, an den Wahlen ei-nes künftigen polnischen Königs teilzunehmen. Alle Lasten, über die der Bund ge-klagt hatte, wurden aufgehoben. In aller Form erklärte dann der König dem Orden am 22. Februar 1454 den Krieg. Fast das ganze preußische Gebiet wurde vom König
von Polen beziehungsweise in seinem Namen vom Preußischen Bund in Besitz ge-nommen. Nur die Gebiete um die Marienburg und Konitz verblieben dem Deutschen Orden.
Der Krieg dauerte 13 Jahre. Er hat große Zerstörungen und unsägliches Elend über die Bevölkerung gebracht und ist als „der schmutzige Krieg“ in die Geschichte einge-gangen.
Am 19. Oktober 1466 wurde in Thorn der berühmt-berüchtigte Zweite Thorner Friede geschlossen. Mit diesem kam nun nicht das Gesamtgebiet der Ordensstaates an Po-len, wie es 1454 vom Preußischen Bund übertragen worden war, sondern nur der westliche Teil: das Gebiet westlich der Weichsel (Pommerellen mit Danzig), aber auch ein Teil östlich der Weichsel, nämlich das Kulmer Land, das Ermland und ein weiterer Streifen längs der Weichsel mit Elbing und Marienburg, insgesamt ein Ge-biet, das in etwa der späteren königlich preußischen Provinz Westpreußen ent-sprach.
Der Bischof des Ermlands war 1464 dem Preußischen Bund beigetreten und machte seinen gesamten Einfluss geltend, dass dieses Gebiet zu Polen kam.
Der östliche Teil verblieb dem Orden, allerdings unter polnischer Oberhoheit. Das Gebiet sollte mit dem polnischen Staat ebenfalls fest verbunden werden und mit ihm „einen unteilbaren Körper, ein Volk“ bilden. Der Hochmeister hatte den polnischen König als „Herrn und Oberen“ anzuerkennen und ihm spätestens sechs Monate nach seiner Erhebung einen persönlichen Treueid zu leisten. Auf der anderen Seite sollte fortan der Hochmeister im polnischen Reichstag sitzen als „Fürst und Rat des Rei-ches zu Polen“ . In der Gildehalle zu Thorn hat daraufhin der Hochmeister Ludwig von Erlichshausen dem polnischen König Kasimir IV. den Treueid geleistet (Sonth-ofen).
Der Hochmeister Albrecht von Hohenzollern Markgraf von Brandenburg-Ansbach trat 1525 zum Protestantismus über und wandelte den Ordensstaat in ein weltliches Her-zogtum um, das der Krone Polens unterstellt war. Am 10. April 1525 schwor Herzog Albrecht in Krakau dem polnischen König den Lehnseid und wurde mit dem Herzog-tum Preußen belehnt. Albrecht wurde erblicher Herzog.
Die Nachfolgesicherung gestaltete sich äußerst schwierig. Der einzige überlebende männliche Nachkomme Albrechts, sein Sohn Albrecht Friedrich, erwies sich als re-gierungsunfähig. Zwar leistete Albrecht Friedrich 1569 auf dem Reichstag in Lublin dem polnischen König den Lehnseid, doch erfolgte zur weiteren Absicherung der Herrschaft die Belehnung seines Vetters Georg Friedrich von Ansbach und des Kur-fürsten Joachim II. von Brandenburg. Mit Unterstützung des polnischen Königs Ste-fan Bathory gelang es aber schließlich dem Letzten aus der Linie der Ansbacher Ho-henzollern, Markgraf Georg Friedrich, die vormundschaftliche Regierung im Herzog-tum zu übernehmen. 1578 erfolgte die offizielle Bestätigung seiner Belehnung mit dem preußischen Herzogtitel. Der polnische König wirkte also direkt bei der Herr-schaftssicherung des Hauses Hohenzollern mit.
Georg Friedrich regierte das Land bis zu seinem Tod 1603. Noch lebte Albrechts schwachsinniger Sohn Albrecht Friedrich. Erst als Albrecht Friedrich 1618 starb, fiel
das Herzogtum Preußen an die Brandenburger Linie der Hohenzollern. Georg Wil-helm, Kurfürst von Brandenburg (1619-1640), wurde der erste erbliche Herzog in Preußen. Seine Belehnung durch den polnischen König erfolgte zwei Jahre später.
Der nächste Kurfürst von Brandenburg auf dem preußischen Herzogsstuhl war Fried-rich Wilhelm (1640-1688), der Große Kurfürst, der versuchte, den Einfluss der polni-schen Lehnsherrschaft einzuschränken. Der Kurfürst griff in den schwedisch-polni-schen Krieg um die Ostseeherrschaft (1655-1660) ein, um im Bund mit den Schwe-den die polnische Lehnsherrschaft abschütteln zu können. Dafür musste er zunächst die schwedische Lehnshoheit in Kauf nehmen, die aber am 20. November 1656 im Vertrag von Labiau aufgelöst wurde. Danach kämpfte Friedrich Wilhelm auf polni-scher Seite gegen die Schweden und erreichte im Frieden von Oliva 1660 die Lö-sung Preußens aus der polnischen Lehnshoheit. Da das Herzogtum Preußen außer-halb des Reichsverbandes stand, trat der Große Kurfürst in die Reihe der souverä-nen Fürsten Europas ein.
Die Politik Friedrich Wilhelms lässt erkennen, dass er keine klare deutsche Tradition in Preußen verfolgte, denn er bewarb sich 1661/62 um die Krone Polens und war da-für sogar bereit, Brandenburg-Preußen aufzugeben (Kossert).
Sein Nachfolger auf dem preußischen Herzogsstuhl war der Kurfürst von Branden-burg Friedrich III. (1688-1713), der sich 1701 zum König Friedrich I. in Preußen krönte.
Friedrich Wilhelm I. (1713-1740) bemühte sich, die durch die große Pest (1709-1711) entstandenen Bevölkerungsverluste in Ostpreußen durch die Aufnahme von Siedlern auszugleichen. Im Kleinen Brockhaus von 1950 ist davon die Rede, dass Friedrich Wilhelm I. von 1722-1740 etwa 29000 Siedler, besonders vertriebene Salzburger Protestanten, in Ostpreußen ansiedelte. Eine neuere Brockhaus Enzyklopädie er-wähnt, dass der Neustamm der Ostpreußen aus Prußen, Litauern, Masuren und Deutschen entstanden ist. Nach meinen Berechnungen betrug der Anteil der Prußen im sich bildenden Neustamm der Ostpreußen 1740 38,5%. Zusammen mit 12,2% Li-tauern machte die baltische Komponente 50,7% aus. Der Anteil der Deutschen und Ausländer belief sich auf 30,5%, während die Masuren einen Anteil von 18,8% er-reichten.
Friedrich Wilhelm I. vermied kriegerische Auseinandersetzungen. Sein Sohn Fried-rich II. (1740-1786) dagegen betrieb eine andere Politik. Er erhob Ansprüche auf Schlesien. Als Maria Theresia diese ablehnte, marschierte er in das beanspruchte Land ohne Kriegserklärung ein. Maria Theresia musste im Frieden von Breslau 1742 auf Schlesien verzichten. Friedrich II. brach den Frieden mit Österreich und erreichte im Frieden von Dresden 1745, dass Maria Theresia den Verzicht auf Schlesien be-stätigte.
Nach 1745 versuchte Friedrich, den Frieden zu erhalten, um seinen Erwerb in Ruhe mit seinem Staat zusammenwachsen zu lassen. Aber Österreich gelang es, Verbün-dete gegen Preußen zu gewinnen: Elisabeth von Russland, die den Spott Friedrichs zu spüren bekommen hatte und der Ostpreußen versprochen wurde, Sachsen, der beständige Rivale Preußens, stellte sich bereitwillig auf die Seite von dessen Geg-nern. Schließlich steht eine Koalition zwischen Österreich, Frankreich, Sachsen, Russland und Spanien, später schließen sich noch Schweden und das deutsche
Reich an. Der preußische König glaubte, im Jahre 1757 angegriffen zu werden und entschloss sich deshalb im Jahre davor zum Präventivkrieg. Ohne Kriegserklärung fiel er in Sachsen ein. Für Ostpreußen brachte die Politik von Friedrich II. eine Kata-strophe: Im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) stand die gesamte Provinz von 1758 bis zum Kriegsende unter russischer Hoheit.
1772 erfolgte unter Federführung Friedrichs II. mit der ersten Teilung Polens die An-nexion des Ermlands und Westpreußens durch Preußen, allerdings ohne Danzig und Thorn, die bei Polen verblieben.
Im Vergleich zu seinen starken Vorgängern machte Friedrich Wilhelm II. (1786-1797) eine wenig überzeugende politische Figur. Mit der Annexion der benachbarten polni-schen Gebiete erweiterte er Preußen durch die zweite und dritte Teilung Polens 1793 und 1795. Neben Danzig und Thorn verleibte sich Friedrich Wilhelm II. auch Großpo-len sowie die alten masowischen Territorien südlich der masurischen Grenze ein. Da-mit befand sich die ursprüngliche Heimat der Masuren als Provinz Neu-Ostpreußen in preußischer Hand (Kossert). Natürlich war dadurch auch Warschau, seit Mitte des 16. Jahrhunderts die Hauptstadt Polens, ab 1795 an Preußen gefallen. Die drei Tei-lungen Polens waren krasse Verstöße gegen den uralten Rechtsgrundsatz: „Nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet“.
Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm III. (1797-1840) erklärte Napoleon den Krieg , was zur preußischen Niederlage bei Jena und Auerstedt 1807 und zur Besetzung Ost-preußens führte.
Im Frieden von Tilsit verlor Preußen 1807 alle bei der zweiten und dritten Teilung Po-lens erhaltenen Gebiete.
Laut Statistik haben in den Jahren 1840-1910 über 739.000 Ostpreußen das Land ih-rer Väter verlassen. Sie suchten bessere Verdienstmöglichkeiten im Ruhrgebiet und in Berlin, gingen dem ostpreußischen Stamm verloren und wurden, wenn nicht sie, dann ihre Kinder, zu Rheinländern, Westfalen oder Berlinern.
Im ersten Weltkrieg drängte das russische Nordheer die schwache deutsche Verteidi-gung Ostpreußens bis in die Gegend von Königsberg zurück. Bei der militärischen Planung wurde die Sicherung Ostpreußens (wie im Siebenjährigen Krieg) vernach-lässigt. Erst die Vernichtung der Narew-Armee bei Tannenberg (23.-31. August 1914) und der Sieg über die Njemen-Armee bei den masurischen Seen (Anfang September 1914) befreite die ostpreußische Bevölkerung von den Besatzern.
Der Versailler Vertrag trat am 10. Januar 1920 in Kraft. An Polen fiel der Hauptteil der Provinzen Posen und Westpreußen. Dadurch entstand der „Polnische Korridor“, und Ostpreußen wurde von der unmittelbaren Verbindung zum Mutterland abgeschnitten. Polen erhielt wieder den 1772 verlorenen Zugang zur Ostsee.
Ostpreußen verlor durch den Versailler Vertrag das Gebiet Soldau an Polen, wäh-rend das der Verwaltung der alliierten Hauptmächte unterstellte Memelgebiet später von litauischen Freischärlern besetzt und mit Litauen vereinigt wurde (1923). Volks-abstimmungen waren vorgesehen für die ost- und westpreußischen Bezirke Allen-stein und Marienwerder sowie für Oberschlesien (Art. 88). Danzig wurde als Freie Stadt unter den Schutz des Völkerbundes gestellt. Seine Vertretung in auswärtigen
Angelegenheiten wurde Polen übertragen. Die Freie Stadt wurde in das Polnische Zollgebiet eingegliedert (Art. 100 ff.).
Ostpreußen hatte seit Inkrafttreten des Versailler Vertrages mit einem besonderen Standortnachteil zu kämpfen: Der teure Transport durch den polnischen Korridor ließ die ostpreußischen Verkaufspreise trotz Transportsubventionen über die der Anbieter in den west- und mitteldeutschen Absatzgebieten steigen, und auch der Import land-wirtschaftlicher Industrieerzeugnisse aus dem Reich verteuerte sich erheblich. Viele Landwirte verschuldeten sich. Da die Reinerträge nach 1918 stark sanken, waren die finanziellen Verbindlichkeiten bald nicht mehr aus den Erträgen zu decken (Kossert).
Durch polnische Angriffe auf die Ukraine (Einnahme von Kiew) kommt es 1920 zum offenen Ausbruch eines russisch-polnischen Krieges. Die rote Armee erreicht in stür-mischer Offensive die Tore von Warschau. Mit Hilfe französischer Offiziere (des ehe-maligen Stabschefs Foch und des Generals Weygand), von Krediten und Materiallie-ferungen erringt Marschall Pilsudski in der Schlacht von Warschau (August 1920) ei-nen Sieg, der das russische Heer zu fluchtartigem Rückzug zwingt. Der Friede von Riga (März 1921) lässt Russland im Besitz der Ukraine, schiebt aber die polnische Ostgrenze 150 km über die Curzonlinie, (die im Versailler Vertrag vorgesehen war!) in weißrussisches Gebiet vor (Herzfeld).
Die Volksabstimmung in Masuren brachte am 11. Juli 1920 einen Anteil von 99,32% Stimmen für „Ostpreußen“ und von 0,68 % Stimmen für „Polen“. Im Kreis Oletzko zählte man nur zwei Stimmen für Polen.
Nach dem Sturz der Hohenzollern 1918 forderte zunächst die revolutionäre „vom Vertrauen der Soldatenräte getragene vorläufige Regierung“ ein Aufgehen Preußens im Reich, doch setzte sich in der 1919 gewählten preußischen Landesversammlung, in welcher die SPD die stärkste Partei war, der Wille zur Eigenstaatlichkeit durch. Die Versammlung verabschiedete 1920 nach lebhaften Auseinandersetzungen die Ver-fassung des Freistaates Preußen. Während die Reichsregierung in der Folgezeit von häufig wechselnden Koalitionen überwiegend bürgerlicher Parteien getragen wurde, hatte in Preußen die SPD mit Ministerpräsident Braun und Innenminister Severing eine feste Stellung. Nach dem Wahlsieg der NSDAP im April 1932 blieb das Kabinett Braun als geschäftsführende preußische Regierung im Amt. Im Juli 1932 wurde je-doch Reichskanzler v. Papen zum Reichskommissar für Preußen ernannt und die bisherigen Minister entlassen. Im April 1933 wurde Göring preußischer Ministerpräsi-dent. Im Vollzug der Gleichschaltung der Länder erfolgte im Oktober 1933 die Auflö-sung des preußischen Landtags. Die preußischen Ministerien wurden mit Ausnahme des Finanzministeriums mit den Reichsministerien zusammengelegt (Universal Lexi-kon).
Am 26. Januar 1934 schlossen Polen und das Deutsche Reich ein Nichtangriffsab-kommen für zehn Jahre ab. Hitler gab damit die während der Zeit der Weimarer Re-publik eingehaltene Politik des guten Einverständnisses mit der Sowjetunion auf. Das hatte zur Folge, dass sich die Sowjetunion aus Misstrauen gegenüber Deutschland und Polen den Westmächten annäherte.
Ein Nichtangriffspakt wurde am 23. August 1939 zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion abgeschlossen. In einem geheimen Zusatzprotokoll verständig-ten sich die Vertragspartner über ihre Interessensphären im Osten, wobei polnische
Gebietsteile östlich von Narew, Weichsel und San der Sowjetunion zugesprochen wurden.
Seit dem 17. September 1939 begann die Sowjetunion mit ihrem Einmarsch in Ost-polen, nachdem am 1. September 1939 deutsche Truppen die polnische Grenze überschritten hatten. In Ergänzung zum Nichtangriffspakt vom 23. August wurde der Sowjetunion auch Litauen als Interessensphäre zugesprochen, während das Deut-sche Reich das Gebiet zwischen Weichsel und westlichem Bug erhielt. Am 8. Okto-ber 1939 wurden dem Reich die im Versailler Vertrag abgetretenen Provinzen wieder eingegliedert. Das übrige Polen, soweit es nicht der Sowjetunion zugeschlagen wurde, wurde am 25. Oktober 1939 als Generalgouvernement eingerichtet.
Ohne Kriegserklärung marschierten am 22. Juni 1941 deutsche Truppen in die Sow-jetunion ein.
Auf der Krim-Konferenz in Jalta im Februar 1945 trafen sich Stalin, Roosevelt und Churchill, um sich angesichts des nahen Zusammenbruchs Deutschlands über die Neuordnung Europas nach dem Kriege zu verständigen. Die Alliierten beschließen, dass die polnische Ostgrenze der 1919 vorgeschlagenen Curzonlinie folgen soll. Über die Westgrenze wird keine endgültige Regelung getroffen. Churchill und Roose-velt denken an die Oder, Stalin wünscht die Oder-Neiße-Linie als Grenze. Auch die provisorische polnische Regierung beansprucht die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze und richtet im März 1945 die fünf Woiwodschaften Masuren, Oberschlesien, Nieder-schlesien, Pommern und Danzig ein. Die damit verbundene Vertreibung der deut-schen Bevölkerung hatte Churchill schon am 15. Dezember 1944 mehr oder weniger gebilligt, als er im Unterhaus davon sprach, in Polen „reinen Tisch“ zu machen.
Auf der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli – 2. August 1945 treffen sich Stalin, Truman und Churchill, der am 26. Juli nach der Wahlniederlage vom neuen Premier-minister Clement Attlee abgelöst wird. Dabei treten die verschiedenen Interessen der Alliierten offen zutage. Die meisten Fragen bleiben ungelöst, sie werden an einen Rat der Außenminister überwiesen. Unter anderem soll er einen Friedensvertrag für Deutschland entwerfen. Auf der Konferenz erkennen die westlichen Alliierten die pol-nische Verwaltung der ehemaligen deutschen Ostgebiete bis zu Oder-Neiße-Linie an und stimmen der Vertreibung von noch etwa 5,6 Millionen Deutschen aus den Ostge-bieten zu. Die endgültige Festlegung der deutsch-polnischen Grenze wird allerdings einem Friedensvertrag vorbehalten. Da die deutschen Ostgebiete nicht mehr als sowjetische Besatzungszone, sondern als polnisches Staatsgebiet gelten, werden sie der Zuständigkeit des Kontrollrates entzogen. Das nördliche Ostpreußen und Kö-nigsberg werden der Sowjetunion bei einem künftigen Friedensvertrag zugesichert.
Durch die Vertreibung der Neustämme der Pommern, Schlesier und Ostpreußen aus den Ostgebieten wurde die deutsche Ostkolonisation auf den Zeitpunkt „Anfang 13. Jahrhundert“ auf der Potsdamer Konferenz zurückgedreht. Der Neustamm der Ost-preußen verlor dabei das Heimatland der Prußen, seiner Urbevölkerung.
Auf der Konferenz in Moskau vom 10. März – 24. April 1947 trifft sich der Rat der Au-ßenminister. Die westlichen Alliierten betrachten die Oder-Neiße-Linie als Proviso-rium, obwohl sie anerkennen, dass Polen für seine Gebietsabtretungen an die UdSSR Entschädigungen erhalten müsse.
Am 26. Mai 1952 wird in Bonn der Deutschlandvertrag zwischen den westlichen Alli-ierten und der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet. Die Grenzfrage, auch die Oder-Neiße-Linie, wird bis zu Regelung durch einen Friedensvertrag offengehalten.
Im Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953 übernimmt die Bundesre-publik Deutschland die Auslandsschulden des Deutschen Reiches sowie die Kosten, die den Alliierten in ihrer Besatzungszone entstanden waren. Sie verpflichtet sich, insgesamt 14,3 Milliarden DM in Jahresraten zurückzuzahlen.
Am 9. September 1955 fährt Bundeskanzler Adenauer auf Einladung der sowjeti-schen Regierung nach Moskau. Die Bundesrepublik besteht darauf, dass mit der Auf-nahme diplomatischer Beziehungen zur UdSSR und mit der sowjetischen Anerken-nung der Souveränität der Bundesrepublik nicht die Anerkennung der bestehenden Grenzen verbunden sei. Die Grenzen Deutschlands würden erst in einem Friedens-vertrag endgültig festgelegt. Zugleich betont sie ihren Alleinvertretungsanspruch für alle Deutschen.
Am 7. Dezember 1970 unterzeichnen Bundeskanzler Brandt und der polnische Minis-terpräsident Cyriankiewicz den deutsch-polnischen Vertrag, in dem die Bundesrepub-lik die Oder-Neiße-Grenze anerkennt.
Mit einfacher Mehrheit werden am 17. Mai 1972 die Ostverträge vom deutschen Bun-destag in dritter Lesung angenommen. Sowohl für den deutschsowjetischen als auch für den deutsch-polnischen Vertrag stimmen nur 248 Abgeordnete. Die Gesamtzahl der Abgeordneten betrug 496. Einen Tag vor der Abstimmung über die Vertrags-werke hatte die SPD/FDP-Koalition mit dem Ausscheiden des SPD-Abgeordneten Günther Müller aus der Partei die Mehrheit im Parlament verloren. Fast alle Mitglie-der der CDU/CSU-Fraktion enthalten sich der Stimme zu beiden Verträgen. Am 19. Mai werden die Verträge vom Bundesrat bei Stimmenthaltung der von der CDU/CSU regierten Länder gebilligt.
Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen vom 14. November 1990 über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenzen und der Zwei-plus-vier-Vertrag (Bundesrepublik Deutschland/Deutsche Demokrati-sche Republik plus vier Besatzungsmächte) schaffen die volle staatliche Souveränität der vergrößerten Bundesrepublik Deutschland. Gleichzeitig wird auf eine spätere Ein-beziehung der Gebiete Ostdeutschlands jenseits von Oder und Neiße verzichtet. Der deutsch-polnische Grenzvertrag vom 14. November 1990 wird mit großer Mehrheit am 17. Oktober 1991 vom Deutschen Bundestag bestätigt.
Nach einer dpa-Meldung wird im Juli 1992 die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze im deutsch-polnischen Grenzvertrag vom November 1990 als verfassungsgemäß an-gesehen. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verletzt der Ver-trag nicht die Grundrechte der nach 1945 jenseits der Oder-Neiße-Grenze Vertriebe-nen. Vielmehr bestätige er nur „die jedenfalls faktisch seit langem zwischen Deutsch-land und Polen bestehende Grenze“. Bei dem Vertrag handele es sich lediglich um eine völkerrechtliche Bestimmung der „territorialen Zuordnung eines Gebietes zu ei-nem Staat“, nicht dagegen um eine hoheitliche Verfügung über privates Eigentum (Az.: BVR 1613/91).
Am 5. August 1950 verabschiedeten die erwählten Vertreter von Millionen Heimatver-triebenen die Charta der deutschen Heimatvertriebenen und verzichteten auf Rache und Vergeltung. „Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wie-deraufbau Deutschlands und Europas.“
Die Charta enthält u.a. die Forderungen: Sinnvoller Einbau aller Berufsgruppen der Heimatvertriebenen in das Leben des deutschen Volkes. Tätige Einschaltung der deutschen Heimatvertriebenen in den Wiederaufbau Europas.
Die Situation der Heimatvertriebenen wird im „Grundriss der Geschichte“ von Prof. Dr. Hans Herzfeld, Stuttgart 1954, beschrieben: „Eine der schwersten Belastungen des deutschen Lebens nach Kriegsende wurde in Potsdam dadurch geschaffen, dass die Verbündeten beschließen, die deutsche Bevölkerung aus Polen, der Tsche-choslowakei und Ungarn nach Deutschland umzusiedeln. Diese gigantische Zwangs-umsiedlung ruft das Flüchtlingsproblem der Gegenwart hervor. Die Zahl der heimat-vertriebenen Reichsdeutschen aus Ostpreußen, Schlesien und Pommern beläuft sich auf 5,5 Millionen, die der Volksdeutschen auf 3,9, das sind zusammen 9,4 Millionen Flüchtlinge. 1950 sind in den drei westlichen Besatzungszonen von 47,7 Millionen Einwohnern 6,7 Millionen Heimatvertriebene und Zugewanderte. Dazu kommen bis Ende 1951 weitere 1,7 Millionen Menschen, die entweder nicht in die Ostzone zu-rückgekehrt oder aus dieser geflohen sind. Die Eingliederung dieser Menschen in das Wirtschaftsleben Westdeutschlands ist ungeheuer schwierig und wird trotz aller Anstrengungen eine Notlösung bleiben“.
Die Regierung Adenauer meinte jedoch, 1957 eine positive Bilanz ziehen zu müssen : „Nur noch 2,8% der Flüchtlinge und Vertriebenen waren am 31.12.1956 arbeitslos. Aus dem Lastenausgleich und der Soforthilfe wurden bis zum 31.3.1957 über 22 Mil-liarden DM ausgezahlt. Über 47% der gesamten Sozialleistungen des Bundes in den letzten sieben Jahren entfielen auf Vertriebene und Flüchtlinge.“
Der Lastenausgleich war jedoch nicht nur eine Leistung des Bundes für die Heimat-vertriebenen. Nach der Statistik des Bundesausgleichsamtes im Amtlichen Mittei-lungsblatt vom 8.4.1960 wurden im ganzen Bundesgebiet 9.528.300 Schäden ange-meldet. Davon sind 5.145.300 heimatvertriebene Geschädigte, die restlichen 4.383.000 jedoch Kriegssach- und Ostgeschädigte.
Der Lastenausgleich sollte diejenigen entschädigen, die durch den Krieg besonders viel oder gar alles verloren hatten. Zahlen sollten jene, die sich ohne große materielle Verluste über die Kriegsjahre retten konnten. Am wichtigsten war die sogenannte „Vermögensabgabe“: Jeder Bürger musste 50% seines Vermögens an den Staat ab-führen. Stichtag war der Tag der Währungsreform, der 21. Juni 1948. Die Abgabe musste über 30 Jahre verteilt bezahlt werden. Wer beispielsweise am 21.6.48 ein Vermögen von 100.000 DM besaß, musste bis zum 31. März 1979 (dem gesetzlich festgelegten Abschlussdatum) in vierteljährlichen Raten insgesamt 50.000 DM be-zahlen. Wegen des ungewöhnlich langen Zeitraumes konnte die Abgabe in der Re-gel aus dem Vermögenszuwachs beglichen werden.
Die Millionen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, die nach der Volkswirtschaftslehre die Produktionsfaktoren Kapital und Boden (Natur) zurücklassen mussten, waren in ihrem neuen Wirtschaftsraum ausschließlich auf den Produktionsfaktor Arbeit (geis-tige und physische Arbeit) angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ihre
Arbeitskraft hat zu dem wirtschaftlichen Aufschwung der Bundesrepublik entschei-dend beigetragen. Dabei wurde die stark zerstörte westdeutsche Wirtschaft nach der Währungsreform von 1948 zum größten Teil durch Selbstfinanzierung aufgebaut. Der Betriebswirtschaftler Dr. Josef Löffelholz schrieb zu diesem Thema: „Die Erlöse aus dem Verkauf der großen Warenlager, die vor der Währungsreform gehortet waren, wurden zu einem sehr erheblichen Teil investiert. Das überhöhte Preisniveau gab gleichfalls große Möglichkeiten zur Selbstfinanzierung. Die Preise wurden zwar lau-fend gesenkt, aber nicht den sinkenden Kosten entsprechend. Die Gesetzgebung hat die Selbstfinanzierung zudem noch durch zahlreiche Möglichkeiten der Steuerbe-günstigung sehr stark gefördert. Die Nachteile liegen auf der Hand. Die Unternehmer versuchten, ihren dringenden Kapitalbedarf möglichst schnell und unmittelbar aus dem Umsatz zu decken. Das setzte überhöhte Preise und die Belastung der Kalkula-tion mit Scheinkosten voraus. Eine derartige Preispolitik wurde durch den sehr hohen Bedarf der Konsumenten an allen lebensnotwendigen Verbrauchsgütern ermöglicht. Die Preise erhielten also eine z. T. recht erhebliche „Sparquote“, die der Wirtschaft die Selbstfinanzierung ermöglichte. Es war eine Art Zwangssparen: Die Wirtschaft zwang den Verbraucher, im Preise eine unverzinsliche, nicht rückzahlbare „Spar-quote“ an ihn abzuführen“.
Die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge haben wie die anderen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik nicht in genügendem Maße an der Produktivvermögensbildung in Ar-beitnehmerhand teilgenommen. Dabei war die Entwicklung der zurückliegenden zwei Jahrzehnte – stagnierende Kaufkraft aus abhängiger Beschäftigung bei kräftig spru-delnden Vermögenseinkommen – lange absehbar. In DIE WOCHE vom 15. August 1997 schrieb Herbert Ehrenberg, von 1976 bis 1982 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: „Von 1980 bis 1995 stiegen das reproduzierbare Sachvermögen um 286 Prozent, das private Geldvermögen um 213 Prozent, das Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um 209 Prozent, die Netto- Lohn- und– Ge-haltssumme indes nur um 92 Prozent. Die Zahlen zeigen, dass sich die Vermögens-verteilung seit 1963 nicht verbessert hat. Damals stellte Professor Föhl fest, dass auf 17 Prozent der Haushalte 75 Prozent des privaten Vermögens entfallen.“ Wer nichts als seine Arbeitskraft anzubieten hat, steht zunehmend auf der Verliererseite. Wer hingegen Wissen und/oder Kapital produktiv nutzen kann, nimmt am Wachstum der Wirtschaft meist überproportional teil.
Seit der verabschiedeten Charta der deutschen Heimatvertriebenen sind inzwischen 53 Jahre vergangen, eine Zeitspanne, die der Deutsche Orden benötigte, in einem Landnahmekrieg die Prußen zu unterwerfen und zu zwangschristianisieren. Der Neu-stamm der Ostpreußen, der vor allem auf prußischer Grundlage entstand, hat 53 Jahre friedlich am Wiederaufbau Deutschlands mitgewirkt. Statt der „deutschen Ost-kolonisation“ gibt es jetzt die Europäische Union. Statt Siedlungsraum von der Saale/Elbe bis zur Weichsel und im Nordosten an den Küsten der Ostsee bis zum Finnischen Meerbusen zu suchen, sind die Neustämme der Pommern und Schlesier (entstanden auf slawischer Grundlage) und der Neustamm der Ostpreußen (entstan-den vor allem auf prußischer Grundlage) auf das Gebiet der teilvereinigten Bundesre-publik Deutschland beschränkt. Von hier aus können sie beobachten, wie die EU-Beitrittskandidaten an den Küsten der Ostsee bis zum Finnischen Meerbusen, näm-lich Polen, Litauen, Lettland und Estland am 1. Mai 2004 der EU beitreten wollen. Ganz besonders werden die Kreise derer, die von Vermögensschäden betroffen sind, registrieren, wie die Beitrittsländer diese regulieren werden, bevor die EU-Sub-
ventions-Verteilungsquellen zu sprudeln beginnen. Auch dürften die Fragen der Frei-zügigkeit und der freien Zirkulation von Kapital im neuen gemeinsamen Wirtschafts-raum für sie von speziellem Interesse sein.
Literatur:
Atlas zur Geschichte, VEB Hermann Haack, Gotha 1989
Boockmann, Hartmut, Deutsche Geschichte im Osten Europas, Ostpreußen und Westpreußen, Berlin 1992
Das große Universal Lexikon, München 1974
Herzfeld, Hans, Grundriss der Geschichte, Stuttgart 1954
Kossert, Andreas, Masuren Ostpreußens vergessener Süden, Siedler Verlag, Berlin 2001
Lexikon der Weltgeschichte, Gondrom Verlag, Bindlach 1985
Löffelholz, Josef, Repetitorium der Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden 1967
Müller, Otto Heinrich, Deutsche Geschichte in Kurzfassung, Frankfurt 1950
Sonthofen, Wolfgang, Der Deutsche Orden, Weltbild Verlag, Augsburg 1995
Straub, Eberhard, Weltgeschichte im 20. Jahrhundert, München 1985
Copyright © 2004 Klaus-Peter Jurkat / Stand: 31. Dezember 2004

Quelle: https://www.vffow.de/

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert